Ludwigsburger Schlossfestspiele / Mahler Chamber Orchestra

Interview
Anja Bihlmaier über neue Begegnungen, beglückende Momente am Dirigierpult und das Programm vom 23. Juni

Die Dirigentin erzählt, wie es ist, ein neues Orchester kennenzulernen, von beglückenden Momenten am Dirigierpult und den Besonderheiten des Programms, das sie am 23. Juni mit dem Violinisten Renaud Capuçon und dem Mahler Chamber Orchestra im Ludwigsburger Forum zum Klingen bringen wird.

 

Liebe Anja Bihlmaier,  arbeiten Sie am 23. Juni zum ersten Mal mit dem Mahler Chamber Orchestra und dem Violinisten Renaud Capuçon zusammen?  

 

Es ist meine erste Begegnung mit dem Mahler Chamber Orchestra und meine Vorfreude ist sehr groß. Renaud Capuçon kenne ich schon von unserem Konzert beim City of Birmingham Symphony Orchestra (CBSO), das mir in besonderer Erinnerung geblieben ist. Er spielte u.a. Ernest Chaussons »Poème« für Violine und Orchester mit einem so wunderbar samtigen Klang und großer lyrischer Kraft, dass ich das Gefühl hatte, ein Sänger stünde neben mir. Beeindruckend ist seine tiefe, kluge Musikalität, sein Wissen über Phrasierung, sein Gefühl für harmonische Schattierungen: alles, was man für das Schumann-Konzert braucht.Wie gehen Sie die Arbeit mit einem noch unbekannten Orchester an?  

 

Es ist wie bei einem Date: Vorfreude und Spannung. Aber schon nach ein paar Minuten gemeinsamen Musizierens bekommt man ein Gefühl für einander. Für mich ist das immer ein beglückender Moment. Ich freue mich auf ein außergewöhnliches Kollektiv von Künstler*innen, die weder technische noch musikalische Limits kennen, die zusammenkommen, weil sie alles ausloten wollen, was in einem Werk steckt, die bis ans Äußerste gehen, um alle Facetten der Musik erlebbar zu machen. Was macht für Sie ein gelungenes Konzert aus? 

Ein Konzert gelingt dann, wenn die Kommunikation mit dem Publikum gelingt. Ich versuche, die Kommunikation mit dem Orchester auf das Publikum zu übertragen, indem wir die Musik erfahrbar machen und so den geistigen und emotionalen Gehalt der Musik im Austausch mit dem Orchester für die Zuhörer*innen zum Erlebnis werden lassen.Um auch die letzten Zweifler*innen zu überzeugen: Was zeichnet die Kompositionen von Louise Farrenc, Robert Schumann und Johannes Brahms aus?  

Was diese drei Komponist*innen verbindet, ist das Zeitalter der Romantik. Die Romantik traut der Aufklärung nicht mehr, nicht alles konnte vom Licht der Vernunft durchdrungen werden, die dunklen Seiten, das Unerklärliche rückte in den Fokus des Bewusstseins.

Robert Schumanns letzte Komposition voll dunkler Farben, die in verschiedenen Harmonien schimmern, ist ein großartiges Beispiel. Dieses Konzert ist nicht auf Virtuosität ausgelegt, sondern steckt voller Geheimnissen, die uns beunruhigen, dabei entführt es uns in eine dunkle Welt voller Schönheit. Louise Farrencs Ouvertüre beginnt mit einer dramatisch langsamen Einleitung, aber dann beginnt der Übermut der Romantik schwungvoll, virtuos, voller Spielfreude. Und mit französischer Eleganz. Brahms, von Schumann erkannt und gefördert, hat zur frühen Romantik schon etwas Distanz. Er ist ein perfekter Architekt von strengen Formen, die gleichwohl Freiheiten zulassen bzw. erst ermöglichen, so widersprüchlich das klingen mag. Seine Verbindung von Präzision und Leidenschaft ist für mich ein Credo. Seine besondere Klanglichkeit erreicht die Sinfonie im ersten Satz durch die vielen Terz-Sext-Kopplungen: weich, dunkel, samtig. Es sind geradezu architektonische Wellen, die sich aufschaukeln, zusammenbrechen, kulminieren, ineinanderfließen, Neues hervorbringen. Und wie immer bei Brahms: keine Note zu viel. Wahrheit. Pure Essenz. In der heutigen Zeit, in der es so oft viel Verpackung und wenig Inhalt gibt, eine Kostbarkeit. Der letzte Satz ist ein Wunder an Kompositionskunst: Variationen über ein Bassmodell – eine Passacaglia. Jede Variation spricht eine andere Sprache und dennoch sind sie (die Variationen) in eine große Form gegossen, alles strebt zum Höhepunkt.

 

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